Barcelona sagt dem Massentourismus 2025 den Kampf an – kreative Protestformen in Europas Hotspots

Overtourism – eine europäische Herausforderung mit lokalen Folgen
Der Massentourismus hat sich in den letzten Jahren – nicht zuletzt durch Billigflüge, Plattformen wie Airbnb und Kreuzfahrtangebote – zu einem Dauerphänomen in vielen südeuropäischen Städten entwickelt. Spanien beispielsweise verzeichnete im Jahr 2024 rund 94 Millionen internationale Besucher:innen, mit einer Prognose von bis zu 100 Millionen für 2025. Diese Zahlen sind wirtschaftlich bedeutend, denn der Tourismussektor trägt rund 12 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt des Landes bei. Doch der Preis dafür ist hoch.
Insbesondere Städte wie Barcelona sehen sich mit gravierenden Problemen konfrontiert:
- Steigende Mieten und Immobilienpreise (plus 70 % seit 2014 in Barcelona)
- Wohnraumknappheit (geschätzt 450 000 fehlende Wohnungen in Spanien)
- Überlastete Infrastruktur und öffentlicher Raum
- Verdrängung lokaler Kultur und Gewerbe
Die Folge: Viele Stadtviertel verändern ihren Charakter. Ursprünglich gewachsene Nachbarschaften verlieren ihr soziales Gefüge. Bewohner:innen fühlen sich wie Fremde in der eigenen Stadt.
Spielerischer Protest mit politischem Kern
Die jüngste Protestwelle vom 15. Juni 2025, koordiniert vom „Southern European Network Against Touristification“, zeigte deutlich, wie kreativ, aber auch wie entschlossen die Protestbewegung agiert. In mehreren Städten – darunter Barcelona, Palma, Ibiza, Lissabon und Venedig – formierten sich Demonstrationen, die teilweise durch das gezielte Verspritzen von Wasser auf Tourist:innen Aufmerksamkeit erregten.
Wasserpistolen wurden hierbei zum Symbol. Sie drücken auf satirische Weise aus, was viele empfinden: einen schleichenden Verlust von Lebensraum. Die Aktionen fanden nicht zufällig in touristischen Hotspots wie dem Park Güell oder der Altstadt statt, sondern waren bewusst medienwirksam inszeniert. Neben Spruchbannern und Absperrungen wurden gezielt Hotels und Restaurants markiert, die als Mitverursacher der Misere gelten.
„Diese Proteste sind keine Ablehnung von Menschen, sondern ein Schrei nach politischer Regulierung und sozialer Gerechtigkeit.“ – Aussage eines Organisators der Proteste
Politische Maßnahmen: Zwischen Regulierung und Widerstand
Die Reaktion der Politik lässt nicht auf sich warten – insbesondere in Barcelona. Dort wurde bereits im Frühjahr 2025 angekündigt, bis 2028 sämtliche privaten Kurzzeitvermietungen über Plattformen wie Airbnb aus der Stadt zu verbannen. Allein im ersten Schritt wurden rund 66 000 Inserate entfernt.
Weitere Maßnahmen in Spanien und Europa
- Erhöhung der Tourismusabgabe in Katalonien auf 4 € bis 7 € pro Nacht
- Einführung von Alkoholverboten und Verhaltensregeln in Touristenregionen
- Bußgelder bis zu 3 000 € bei Verstößen auf den Balearen
- Einreisegebühren für Tagesgäste in Venedig (z. B. 5 € für Besucher:innen)
Diese Maßnahmen sind nicht unumstritten. Eigentümerverbände kritisieren das Vorgehen Barcelonas als überzogen und warnen vor dem Verlust von Einnahmen. Airbnb wiederum betont, dass nicht die Plattform selbst, sondern Hotels den größten Anteil am Tourismusdruck hätten. Kurzzeitvermietungen würden vielmehr helfen, Gäste besser im Stadtgebiet zu verteilen.
Die Rolle von Technologie und intelligenter Steuerung
Abseits von Verboten setzen einige Städte auf datengestützte Steuerung. In Pilotprojekten kommen Sensoren zum Einsatz, die Besucherströme in Echtzeit erfassen und warnen, sobald bestimmte Schwellen überschritten sind. Diese Systeme erlauben eine flexible Reaktion – etwa durch Umleitung von Touristenmassen oder temporäre Zutrittssperren.
Auch Zugangsbeschränkungen mit QR-Codes – wie auf den galicischen Cíes-Inseln – zeigen, dass Overtourism mit digitalen Mitteln effizient reguliert werden kann. Dort wurde die Zahl der Besucher:innen auf 1 800 pro Tag begrenzt. Das Resultat: weniger ökologische Schäden, bessere Erfahrungen für Gäste und zufriedenere Anwohner:innen.
Internationale Perspektiven und europäische Lösungen
Overtourism ist kein rein spanisches Problem. Auch Städte wie Florenz, Como, Dubrovnik oder Amsterdam sehen sich zunehmend gezwungen, gegenzusteuern. Die EU hat bereits 2018 einen Bericht veröffentlicht, der auf die Notwendigkeit lokal angepasster Strategien verweist. Besonders betont wird die Einbindung der Bevölkerung sowie die Entwicklung nachhaltiger Governance-Strukturen.
Stadt | Maßnahme gegen Overtourism |
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Venedig | Eintrittsgebühr für Tagesgäste, Kreuzfahrtbeschränkungen |
Amsterdam | Regulierung von Ferienwohnungen, Anti-Lärm-Kampagnen |
Palma de Mallorca | Kreuzfahrtbegrenzung, Alkoholverbote |
Florenz | Verbot von neuen Fast-Food-Lokalen im Zentrum |
Stimmen aus der Bevölkerung: Zwischen Frust und Hoffnung
Viele Anwohner:innen berichten von einer Veränderung ihres Alltags. In manchen Wohnhäusern in Barcelona leben heute nur noch wenige Einheimische zwischen unzähligen Ferienwohnungen. Der soziale Zusammenhalt geht verloren, es entsteht ein Gefühl von Entfremdung. Einige sprechen von “Tourismphobie”, ein Begriff, der jedoch differenziert betrachtet werden muss.
„Es geht nicht darum, Touristen zu hassen. Es geht darum, nicht selbst vergessen zu werden.“ – Anwohnerin aus dem Viertel El Raval
Die Proteste, ob mit Wasserpistolen oder Plakaten, sind Ausdruck einer tiefen Verunsicherung. Und sie zeigen zugleich: Die Menschen wollen mitreden. Sie wollen Lösungen, keine Verbote um jeden Preis, sondern einen neuen sozialen Vertrag zwischen Gastgeber:innen und Gästen.
Spielzeugwaffen mit ernstem Hintergrund
Der Protest gegen Overtourism ist mehr als bloßer Aktivismus. Er ist ein Signal. Ein Aufruf zur Umkehr, zur Umverteilung, zur Gerechtigkeit im urbanen Raum. Städte wie Barcelona stehen exemplarisch für viele urbane Zentren Europas, in denen Tourismus zum strukturellen Problem geworden ist. Die Zukunft des Reisens wird davon abhängen, wie ernst Politik und Gesellschaft diese Warnsignale nehmen – und ob es gelingt, Gastfreundschaft und Lebensqualität dauerhaft zu versöhnen.
Die Wasserpistole mag spielerisch wirken – doch sie trifft mitten ins Herz der Debatte.